Neid , Aufmerksamkeit und Dankbarkeit

Durchhaltevermögen war die wichtigste Eigenschaft der Woche.

Um im Waschmaschinenjargon zu bleiben - ich bin vom Schleudergang in der Buntwäsche gelandet. Dieses Programm hat weniger Umdrehungen , dauert aber sehr lange.

Es war nicht mehr so turbulent , aber anstrengend. Die beliebtesten Todsünden der Menschen - Neid und Missgunst - waren Anfang der Woche tagesbestimmend. Nach entstehender Aufmerksamkeit fürs Schneiderhandwerk endete die Woche in Dankbarkeit.

Hier meine Beobachtungen - aus der Sicht einer Schneiderin in der Vulkaneifel - tagesaktueller Stand jeweils 18.00 Uhr:

(…und wen das jetzt nicht interessiert ,sollte genau JETZT an dieser Stelle das Lesen abbrechen und weiterscrollen….)

Samstag 04.April

Die Nähmaschine rattert….es sind superviele Bestellungen abzuarbeiten. Nachmittags fahre ich zur Bank und zahle Geld ein….ein 5 Euroschein wird ausgespuckt….ein Kunde hat an der Station des Vertrauens einen selberkopierten Fünfeuroschein in die Spardose geschmissen:-)

Danach fahre ich nach Daun und entdecke meinen neuen Lieblingshotspot! Die Grüngutstelle oberhalb von Mehren. Hier stehen Dutzende von Autos .Nach getaner Gartenarbeit unterhalten sich gestandene Männer mit einem Sicherheitsabstand ,der nicht grösser ist ,als die Zinken einer Mistgabel.

Sonntag ,05. April

Eine befreundete Schneiderin bietet ihre Hilfe an . Genauso eine Bekannte aus dem Nachbardorf ,die den Telefondienst übernehmen möchte. Ich entscheide mich abzulehnen ,da ich niemand durch nahes Arbeiten im Atelier und das Teilen der gleiches Geräte gefährden möchte.Auch sonntags arbeite ich …das Telefon rattert wenig.

Montag ,06. April

Die ersten bestellten Masken werden vor dem Eingang des Ateliers abgeholt. Mir schlägt eine Welle des Neids entgegen.”Das Geschäft meines Lebens”

Ich suche das Gespräch. Schnell wird klar ,dass die Kunden sehr schlecht informiert sind. Ich erkläre meine Sicht der Dinge ,die Zusammensetzung der Preise und Spendenanteile. Ein nicht kleiner Teil der Kunden denkt , dass der Coronavirus sich erschreckt ,wenn er das Ortsschild des Landkreises Vulkaneifel sieht ,sich umdreht und in den nächsten Kreis flüchtet.”Hier iss doch nix”

Ebenso gehen die ersten Pakete zur Post. Auf der Fahrt dorthin….

Um elf Uhr morgens staut sich der Verkehr in Daun zwischen Viadukt und Umgehungsstrasse zurück. Parkplätze von Supermärkten ,Baumarkt ,Gartenbetrieb -alles voll. Wenige ändern ihre Verhaltensweisen und ihre alltäglichen Gewohnheiten.

Das Kabinett verabschiedet abends ein Programm Unternehmen der deutschen Textilproduktion mit einem 30prozentigen Zuschuss zu fördern ,die dieses Jahr noch Anlagen ans Laufen bekommen , um Schutzausrüstung produzieren. Hilfe für die Grossen!

Aber ein wichtiger Schritt einen textilen Produktionsstandort Deutschland zu etablieren.

Dienstag ,07.April

Immer noch Neid und Missgunst bei Vielen.Ich hab mich dran gewöhnt . Spätestens seid meiner Fashionweek- Teilnahme in Berlin vor zwei Jahren weiss ich nur zugut ,was Neid ist. Und hier verstehe ich jede Schneiderin ,die schon aufgegeben hat - sei es aus Angst vor juristischen Schreiben -sei es aus fehlender zwischenmenschlicher Empathie.

Ich nähe weiter Masken. Einer Kundin ,die in der Pflege arbeitet ,möchte ich fünf Masken schenken. Sie wollte nicht und spendet was. Wir beide haben Tränen in den Augen.

Nachmittags bekomme ich eine Email von Google. In Amerika hat man entschieden meinen Laden offiziell im Netz als geschlossen darzustellen.Mir wird die digitale Abhängigkeit von amerikanischen Plattformen wie Google klar ,obwohl ich als Handwerksbetrieb legitimiert arbeiten darf. Dazu kommt ,dass am gleichen Tag Ebay alle Maskenanbieter ,die Masken zu teuer (30,- Euro und mehr ),aber auch alle Hobbyschneiderinnen ,die ihre Masken für 4 Euro anbieten ,rausschmeisst. Der Maskenmarkt - der bis vor vier Wochen überhaupt nicht existierte - wird auch von Amerika aus reguliert. Der Durchschnittswert liegt zur Zeit bei circa 10 bis 15 Euro . Hier ist ein Blick auf Trigemapreise immer hilfreich.Alle Kolleginnen können sich hier tagesaktuell informieren. Weltweit ändern sich jetzt bereits die Preise STÜNDLICH.

Mittwoch,08. April

Die Bestellhotline ist für drei Stunden geöffnet. Alle Anrufer waren ausnahmslos nett und dankbar.Es entsteht eine gewisse Aufmerksamkeit für die Arbeit der Schneider,die gerade ein systemrelevantes Produkt herstellen. Nicht nur ,um zu helfen ,sondern auch um ihre Existenz zu sichern. Jemand aus der Kommunalpolitik versteht die Bedeutung unseres Tuns und weist in einer Email Volker Wissing auf die momentane Relevanz des Berufsstandes hin:-)

An dieser Stelle danke und grüsse ich alle Kolleginnen ,die gerade mit geschwollenen Fingern am Bügelbrett stehen und Ostern durcharbeiten werden. Es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer ,dass die Aufmerksamkeit für unser Tun sich irgendwann von politischer Seite in Wertschätzung umwandeln könnte.

Und ein grosses Dankeschön an eine Mitarbeiterin der Polizei in Wittlich. Nicht nur für die Bestellung ,sondern auch für die ausführliche Beratung und Einordnung des Stellenwertes meiner Masken ,die sicherheitshalber ab jetzt in einem alarmgesicherten Haus ausserhalb des Ateliers gelagert werden.

Abends nimmt Markus Söder persönlich eine Lieferung von 8 Millionen Masken in Empfang. Eine grosse Zahl -wer den tatsächlichen Bedarf kennt - lächelt milde.

Donnerstag ,09. April - Gründonnerstag

Ich warte sehnsüchtig auf Stofflieferungen ,um Masken zu produzieren. Nachmittags die ersten Infos der deutschen Lieferanten - das Stofflager ist leer. Europaweit explodieren die Preise für Baumwollstoffe. Holland kann noch liefern….hurra.

Einige Kunden können noch ihre Bestellungen abholen. Vielen Dank euch allen für eure guten Wünsche ,Blumen und ein selbstgebackenes Osterlamm .

Freitag ,10.April - Karfreitag

Die deutschlandweite Maskenproduktion gönnt ihren Mitarbeiterinnen eine Pause. Viele haben jetzt schon eine Sehnenscheidenentzündung und Rückenschmerzen.

Bei mir meldet sich eine überglückliche Braut ,die mir erzählt ,dass sie Ende Mai heiraten darf. Da gibt es ein erstes Standesamt ,dass verstanden hat ,dass an der Durchführung einer standesamtlichen Hochzeit auch die Existenzen vieler Hochzeitsdienstleister dran hängen.Ein Hoffnungsschimmer.

Abends wird ich den Medien berichtet ,dass die ISB Rheinland-Pfalz in fast zwei Wochen noch keine einzige Soforthilfe ausgezahlt hat. Ein Schlag ins Gesicht !

Mir ist sehr bewusst ,wie unterschiedlich unser aller Leben gerade abläuft. Gemeinsam teilen wir Sorgen und Ängste. Aber wir teilen auch die Nähe zur Familie, die Wertschätzung kleiner Freuden und den Respekt vor dem Engagement des Anderen.

Der Staat nennt das Solidarität. Der Glaube nennt das Nächstenliebe.

Mit Stolz und Freude - und auch Demut - kann ich mitteilen ,dass ich in knapp zwei Wochen über 1000 Euro an Spendengeld an der Nähmaschine zusammengenäht habe.

Für die Dauner Tafel und die Nestwärme.

Und eines ist auch klar :

wir - die Soloselbstständigen und Kleingewerblichen

WIR SIND DIE VIELFALT DEUTSCHLANDS

Mit herzlichen Grüssen aus Schalkenmehren

Angelika Hirschler

Angelika Hirschler